Studentischer Bericht über eine Exkursion in den Naturpark Sauerland Rothaargebirge
Im Spätsommer des Jahres 2018 verbrachten zwölf Studierende der Leibniz Universität Hannover eine Woche im Naturpark Sauerland Rothaargebirge, genauer: im östlichen Teil des Kreises Olpe. Seit mehreren Jahren gehört „die Sauerland-Exkursion“, die nahezu ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß bewältigt wird, zum regelmäßigen Angebot in den Bachelor- und Masterstudiengängen Landschaftsarchitektur und Umweltplanung.
In diesem Jahr sollten Menschen und Initiativen im Focus stehen, die „das Land bewegen“, die also – je nach ihren Interessen und Möglichkeiten – Impulse in der Dorf- und Regionalentwicklung, vor allem in Landwirtschaft und Gartenbau, Naturschutz und Denkmalpflege, Tourismus und kulturellem Leben setzen.
Die Gruppe machte sich am 3. September gemeinsam mit Dr. Roswitha Kirsch-Stracke von Hannover aus mit dem Zug auf den Weg, zunächst bis nach Altenhundem. Hier wurden die Studierenden im umgenutzten Bahnhofsgebäude, nun Café Heimes, herzlich empfangen von Susanne Kues-Gertz, der stellvertretenden Leiterin der Tourist-Information für die Gemeinden Lennestadt und Kirchhundem. Die studierte Forstwissenschaftlerin vermittelte einen ersten Eindruck vom umfangreichen Tourismusangebot und seiner Entwicklung. Dass der Deutsche Wanderverband (DWV) die „Sauerland-Wanderdörfer“, zu denen auch Orte in den Kommunen Lennestadt und Kirchhundem gehören, als erste „Qualitätsregion Wanderbares Deutschland“ ausgezeichnet hat, war für viele aus der Gruppe neu.
Bei der Tourismusförderung der Region wird eindeutig die „schöne Landschaft“ in Wert gesetzt. Dies bedeutet, dass ein Schwerpunkt auf Angeboten zur Naturerfahrung liegt und vor allem Wandern und Radfahren, in erster Linie über eine entsprechende Wegeentwicklung, gefördert werden. Als Beispiel stellte Frau Kues-Gertz den gerade eröffneten „Rahrbacher Poesieweg“ vor, der „zur inneren Einkehr, zur Inspiration und tieferen Naturbegegnung“ anregen möchte.
Gestärkt und informiert, ging es für die Gruppe mit dem Bus und zu Fuß weiter zur Hohen Bracht, einem 588 m ü.NN hohen Berg zwischen Altenhundem und Bilstein. Der Aussichtsturm auf der Hohen Bracht, erbaut 1930 zur Tourismusförderung und als Ausflugsziel für die heimische Bevölkerung, wurde in den letzten Jahren renoviert. Bereits bald nach seiner Erbauung hatte sich der Turm zum Wahrzeichen des Kreises Olpe entwickelt. Früher diente er unter anderem als Jugendherberge, heute befindet sich hier ein attraktives Restaurant.
Informationen zur Neugestaltung der Hohen Bracht vermittelte Joachim Sondermann aus Olpe. Der heimische Landschaftsarchitekt ist für die gelungene Umgestaltung der Außenanlage verantwortlich. Herr Sondermann erzählte von der grundlegenden Gestaltungsidee, Ruhe in den Freiraum zu bringen und den Blick in die Landschaft zu öffnen. Außerdem war für ihn die Verwendung regionaler Materialien sehr wichtig. So wurden für die vergrößerte Terrasse Platten aus Keratophyr verwendet. Das kristalline magmatische Gestein kommt im östlichen Kreis Olpe vor. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wird es vor allem in Würdinghausen gebrochen und als Werkstein eingesetzt, so auch geschehen vor 88 Jahren beim Turm auf der Hohen Bracht. Die neuen großen Bodenplatten stammen jedoch nicht aus den sauerländischen Steinbrüchen, sondern mussten aus dem Ausland beschafft werden.
Während des Umbaus kamen einige zuvor ungeahnte Aufgaben auf den Landschaftsarchitekten zu. Viele Erdarbeiten waren zuvor nicht eingeplant und mussten dennoch bewältigt werden. Eine alte Abwasseranlage und die Platzierung eines Öltanks waren neue Herausforderungen, die der Landschaftsarchitekt nach Empfinden der Studierenden außerordentlich gut gelöst hat. Die Grundidee, Ruhe an den Ort zu bringen, wurde durch die Begrenzung auf wenige Materialien und durch den Verzicht auf eine zu kleinteilige räumliche Differenzierung erreicht.
Nach dem Abstieg von der Hohen Bracht und dem Einkauf für das Abendessen ging es für die Gruppe mit dem Bus nach Kirchhundem-Heinsberg, in die Rucksackherberge am Rothaarsteig. Hier fanden die Studierenden ein 250 Jahre altes, liebevoll eingerichtetes Fachwerkhaus mit geräumiger Deele, einem Ofen und einem schönen Gemeinschaftsraum samt Küche vor. Eigentümer Christoph Henrichs, Lehrer und engagierter Dorfbewohner, begrüßte die Gruppe persönlich und gab einen Einblick in den Umbau des denkmalgeschützten Bauernhauses zur Herberge, die seit 2000 betrieben wird.
Nach der ersten erholsamen Nacht brach die Exkursionsgruppe am Dienstag Richtung Oberelspe auf. Dort erwartete sie Dr. Gregor Kaiser, Sozialwissenschaftler, Biologe und promovierter Politikwissenschaftler. Nach seinem Studium hat er den elterlichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb übernommen und auf ökologischen Weihnachtsbaum-Anbau umgestellt. In seinen Kulturen werden Blau-Fichten, Nordmanns-Tannen, Nobilis-Tannen und Kork-Tannen angebaut. Shropshire-Schafe halten die jungen Bäume von krautigem Aufwuchs frei, so dass weder Glyphosat noch ähnliche chemischen Mittel eingesetzt werden müssen. Der Betrieb ist Naturland-zertifiziert.
Familie Kaiser-Kilgus hat vier Kinder, die Eltern teilen sich Erziehungs- und Hausarbeit. Des Weiteren ist Gregor Kaiser kommunalpolitisch und in der Aktions-Gemeinschaft „Es TUT sich WAS e.V.“ engagiert. Diese Initiative setzt sich seit 25 Jahren gegen Rechtsradikalismus und für Toleranz und Menschlichkeit im ländlichen Raum ein und organisiert z.B. interkulturelle Konzerte und Kunst-Workshops. Auch die eigene Hof-Bibliothek und die Einbindung in überregionale Vereinigungen wie die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) sowie das Gen-Ethische Netzwerk zeigen, welch großes Anliegen Herrn Kaiser die ländlichen Entwicklung ist.
In Anschluss an die Besichtigung des Betriebs und anregenden Gesprächen brach die Gruppe mit Jukka Kilgus zur Wanderhütte der Oberelsper Ortsgruppe des Sauerländischen Gebirgsvereins (SGV) auf. Unterwegs berichtete der Abiturient über seine persönlichen Dorferfahrungen. Jukka engagiert sich in der Jugendarbeit und gibt gemeinsam mit einigen anderen eine Dorf-Zeitung heraus. Nach einer Stärkung an der SGV-Hütte, an der im Jahresverlauf viele verschiedene Veranstaltungen und auch die Oberelsper Saftpress-Tage stattfinden, wanderte die Gruppe zum Almhof und zur Solidarischen Landwirtschaft Almhof Elspe e.V..
Hier trafen die Studierenden Reinhard Schleimer, der die SoLaWi Elspe 2014 ins Leben rief. Durch die Solidarische Landwirtschaft ist der Landwirt unabhängig von Weltmarktpreisen, da sich die Genossenschafts-Mitglieder Risiko, Kosten und Ernte teilen. Heute hat die SoLaWi Elspe rund 60-70 Mitglieder, die jeweils 75 Euro im Monat zahlen und damit das ganze Jahr frisches regionales Gemüse bekommen. Nach dem Kennenlernen des Betriebs und den ersten Informationen durften die Studierenden selbst mithelfen. Unter Anleitung von Landwirt Elmar Duwe wurden frisch gerodete Kartoffeln vom Feld gelesen. Die besonders leckere Kartoffel-Sorte „Linda“ war mithilfe der vielen Hände schnell aufgesammelt. Zufrieden und bepackt mit drei großen Kartoffelsäcken machte sich der Trupp fröhlich auf den Rückweg zur Rucksackherberge. Es blieb kein Zweifel mehr, was an den nächsten Tagen auf den Tisch kommen würde …
Am Abend wurden die Studierenden von der Dorf AG Heinsberg zum Grillen eingeladen. Neben Herbergsvater Christoph Henrichs kamen unter anderem Ortsheimatpfleger Hermann Josef Beckmann und die ehrenamtliche Betreuerin des Heinsberger Dorfarchivs, Ortrud Heimes, dazu. So konnten die Studierenden in lockerer Runde ihre Kenntnisse zur Dorfgeschichte und zum aktuellen Dorfgeschehen erweitern.
Am Mittwochmorgen wanderte die Gruppe gemeinsam mit dem 82-jährigen Hermann Josef Beckmann über die alte Trift zur Heinsberger Heide hinauf. Früher trieb ein Hirte täglich das Vieh aller Dorfbewohner auf die höher gelegenen Weideflächen. Anhand von historischen Karten erläuterte Herr Beckmann die bauliche Entwicklung von Heinsberg.
Auf der Heinsberger Heide wurde eine Fläche aufgesucht, die von der vorjährigen Exkursions-Gruppe als Naturschutz-Maßnahme abgeplaggt worden war. Auf dem Rohboden waren (noch) nicht die erwünschten Zwergsträucher, z.B. die Besenheide (Calluna vulgaris), aufgelaufen, sondern die Fläche wurde von Gräsern dominiert. Die Vegetationsentwicklung soll im nächsten Jahr erneut geprüft werden.
Die Wanderung führte weiter über einen Abschnitt des Rothaarsteiges und seine Zuwege und vorbei an einem historischen Meilerplatz. Am alten Aquädukt informierte Herr Beckmann über den Bau der Eisenbahn-Nebenstrecke durch Heinsberg, die 1914 eröffnet wurde und bis 1944 bestand. Die Bahnlinie musste den Krenkelsbach an seinem Oberlauf kreuzen. Man entschied damals, den Bach in einem Aquädukt über die Bahnlinie zu führen. Das Bauwerk ist das einzige seiner Art in Nordrhein-Westfalen und steht unter Denkmalschutz.
Zurück in der Dorfmitte, wurden Stegreif-Aufgaben an die Studierenden verteilt. Im Rahmen einer Tagesaufgabe ging es für einen Teil der Gruppe um die Gestaltung eines Platzes an der Talstraße, der durch einen Hausabriss im Zuge des Straßenausbaus entstanden ist. Die Dorfgemeinschaft wünscht sich einen „Begrüßungsplatz“ mit Aufenthaltsqualität für Dorfbewohner und Gäste. Ein anderer Teil der Gruppe erfasste und dokumentierte als Einstieg in einen Wochenstegreif historische Kulturlandschaftselemente in und um Heinsberg. Auf dieser Grundlage sollte später die „landschaftliche Eigenart“ der Gemarkung herausgearbeitet werden.
Am Abend, nach dem Verzehr eines Kartoffelgerichts, besuchte die Gruppe das Radiomuseum Heinsberg. Die beeindruckende Sammlung ist eingebunden in die „Museumslandschaft Kreis Olpe“. In dieser Arbeitsgruppe haben sich sowohl die ehrenamtlich von Vereinen oder Privatinitiativen getragenen Einrichtungen wie auch die hauptamtlich geführten Museen in kommunaler Trägerschaft zusammengetan, um sich untereinander zu vernetzen, zu unterstützen und gemeinsam nach außen darzustellen. Besitzer Reinhard Flöper präsentierte mit Leidenschaft seine Sammelstücke. Über 400 alte Radios, Schallplattenspieler und andere Audio-Antiquitäten können hier begutachtet werden. Mit Herrn Flöpers selbst hergestelltem Wein, Obst aus seinem Garten und viel Musik ging der Abend zu Ende.
Am vierten Tag konnten die Studierenden eine weitere Art von Engagement erleben. Es ging vom Sauerland ins südöstlich angrenzende Wittgensteiner Land, und zwar in das rd. 400 Hektar große, private Wildnisgebiet von Dieter Mennekes. Während einer Wanderung durch das Gebiet mit Waldbesitzer Mennekes und Förster Markus Gastreich wurden die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Wildnisgebietes erläutert. Die Regulierung des Wildbestandes und das langsame Herausnehmen der Fichten sowie das Verständnis der Besucher und ein angemessenes Verhalten spielen bei der Entwicklung zum Wildnisgebiet eine wichtige Rolle.
Herr Mennekes brachte die Studierenden unter anderen mit dem folgenden Zitat zum Nachdenken: „Wenn jeder Mensch in Deutschland am Tag 1 Gramm weniger verbrauchen würde, müssten pro Tag 80 Tonnen Masse weniger bewegt werden!“ Im Grunde bedeutet dies, dass jeder Einzelne auch ohne den Besitz eines Wildnisgebietes seinen Beitrag zum Umweltschutz leisten kann, indem er Nahrung, Kosmetika, Kleidung und sonstige Güter bewusst verwendet. Und allein wenn Herr Mennekes mit seinem Wildnisgebiet die Menschen dazu bewegt, natürliche Prozesse wahrzunehmen, über sie nachzudenken und wertzuschätzen, ist er seinem Ziel, „Natur“ zu schützen, nähergekommen.
Nach dem letzten Frühstück in der gemütlichen Rucksackherberge brach die Gruppe am Freitagmorgen wieder Richtung Hannover auf. Einen letzten Stopp machte sie in Finnentrop, bei „Chilimann“ Ralf Rickert. Erst kürzlich aus Hannover zurück in seine Heimatgemeinde gezogen, konnte er den Studierenden bereits eine Fülle unterschiedlicher Chili-Sorten präsentieren, die er in seinem Garten zieht. Eine Verkostung blieb nicht aus – zum Leid der einen oder anderen Geschmacksknospe: Bis Schärfegrad 10 durfte alles getestet werden. Gerade hat Ralf Rickert den Schritt in die Selbstständigkeit gemacht. Bereits jetzt beliefert er mit seinen Erzeugnissen Wochenmärkte und Betreiber der gehobenen Gastronomie. Er plant, den Chili-Anbau auszuweiten und als Permakultur zu betreiben. Mit seiner großen Leidenschaft und dem von seiner Frau beschriebenen „grünen Daumen“ dürfte diesem Traum nichts im Weg stehen.
Voller neuer Eindrücke trat die Gruppe die Rückreise nach Hannover an. Wenn sich die Studierenden in einem einig waren, dann darin, dass die kennengelernten Sauerländer offene und extrem freundliche, vor allem aber engagierte Personen mit interessanten und beeindruckenden Lebenswerken sind. Die lockere und fast schon familiäre Stimmung während der verschiedenen Besuche machte die gesamte Exkursion zu einem tollen Erlebnis, und so es ist nicht verwunderlich, dass einige Studierende bereits zum zweiten Mal „die Sauerland-Exkursion“ mitgemacht haben.
Text: Freya Fliege & Greta Wienrich
Bericht im Sauerlandkurier, Ausgabe Lennestadt-Kirchhundem, vom 12. September 2018
Bericht in der Westfalenpost, Ausgabe Kreis Olpe, vom 28. September 2018